Effizienz – Last oder Lust?

Es war Mitte der 1980er Jahre, als ein Trainerkollege unentwegt lange Tiraden von sich gab, dass es zu wenig wäre, nur effektiv zu wirken, man müsse auch effizient sein. Offenbar hatte er den Unterschied gerade erst irgendwo aufgeschnappt und wollte sich jetzt einen Dominanzvorteil erarbeiten.

Diesem Verhalten mangelte jegliche Effizienz: Er vergeudete Zeit – die eigene wie all derer, die sich seine Besserwisserei gefallen ließen. Und: Er machte sich unbeliebt. Im Endeffekt hatte er zwar eben einen Effekt erzielt – aber nicht den, den er wollte, sondern das Gegenteil – und das noch dazu nachhaltig.

Effizient zu sein bedeutet für mich, sein Ziel samt Neben- und Unterzielen genau zu kennen und alles zu unterlassen, was diese Ziele gefährden könnte (sofern dies in der eigenen Macht steht), hingegen jede mögliche Ressource abzuschätzen, ökonomisch und auch ökologisch zu überprüfen und all das zu fördern, was der Zielerreichung nützt. Dies betrifft aber nicht nur das planende Denken, sondern das gesamte Verhalten, beinhaltend also Denken und Fühlen, körperliches Agieren und Intuieren, und wenn möglich in Balance.

In der Mitte liegt die Kraft

Von dem berühmten Schweizer Psychiater und Begründer der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jung (1875–1961) stammt die Präzision unserer Bewusstseinsformen als Quadrinität von kognitivem Denken und polar dazu emotionalem Fühlen einerseits: Tief in Gefühle verstrickt, geht meist jegliche Vernunft verloren – umgekehrt hingegen mutiert man als Intelligenzbestie (oder fühllosem Computermenschen) zum Leuteschinder. Andererseits haben wir auch ein Körperbewusstsein (auch wenn es oft ignoriert wird und erst bei unübersehbaren psychosomatischen Reaktionen wahrgenommen wird) und wiederum im Gegensatz – oder ergänzend – dazu die Intuition, Fantasie, Kreativität, kurz die Fähigkeit, Zukunftsvisionen zu entwickeln. Auch hier kennen die meisten Menschen das Phänomen, sich bei großen Schmerzen nicht vorstellen zu können, dass die jemals wieder aufhören und umgekehrt, wenn man sich im Workers High in Arbeitslust verliert, auf den Körper sprich Essen und Schlafen zu vergessen.

Am effizientesten sind wir allerdings, wenn wir diese vier Seelenanteile in Balance haben: Dann sind wir vielleicht nicht hundertprozentig supergescheit – aber unser Gefühl warnt uns vor Fehlhandlungen und unsere intuitive „Nase“ signalisiert uns, welche nächsten Aktivitäten die erfolgversprechendsten sind, und unsere Körperbefindlichkeit ist das Alarmsystem, das nicht nur Regenerationsbedarf und damit die Gefahr von Funktionsverlusten meldet, sondern auch spürbar macht, wenn eine Beziehungsdynamik sich in Richtung Explosion steigert – eigene Anteile mitgemeint.

Selbstwahrnehmung

In unserem traditionellen Schulsystem werden wir primär auf kognitive Leistungsfähigkeit trainiert. Der Appell lautet dann „so gut wie möglich“. Lauter Einser – das macht die Eltern stolz, dann können sie mit den Kindern „angeben“. Sorgenfrei macht das nicht – sie wälzen nur ihre Angst vor sozialem Abstieg auf die Kinder über und erziehen Duckmäuser.

Effizienz hingegen bedeutet „so gut wie nötig“ und erfordert die Fähigkeit des Überblickens und der Gesamtschau, des Ein- und Abschätzens, des Mutes, über den Tellerrand hinauszuschauen und Konkurrenzen zu ertragen, Fehler zu erkennen ohne die Gelassenheit zu verlieren, sondern prompt zu korrigieren, daher auch Flexibilität und vor allem, anderen Menschen so zu begegnen, dass sie einen gerne unterstützen. All das kann man lernen – und wie bei jedem Lernprozess braucht man dazu Vorbilder, Übung und soziale Anerkennung. Letztere kann man durch Realitätsprüfung und Selbstbestätigung ersetzen.

Ich selbst hatte eine Mutter, die lieber kreativ werkte oder stundenlang Klavier spielte, als auf „gute Hausfrau“ zu machen. Sie demonstrierte diese minimalisierten „niederen Dienste“, indem sie vor mir Kommentare abgab, was man alles gleichzeitig machen oder überhaupt einsparen könne. Und sie hatte den Mut, dazu zu stehen, alles, was sie nicht selbst machen musste, charmant anderen zu „erlauben“. Sie delegierte nicht, sondern lud zur Gemeinsamkeit ein. Sie hatte den „Mut zur Lücke“.

Der Feind im Nacken!

In einem Leserbrief in den Salzburger Nachrichten schrieb eine – offensichtlich ältere – Frau, man müsse immer Raum frei lassen, damit Gott wirken könne. Dazu braucht es Vertrauen. Gottvertrauen ist eigentlich ja Selbstvertrauen und das bewirkt Gelassenheit und Stressvermeidung.

Die drei größten Stressfallen lauten Perfektionismus, Hetze und Überanpassung. Sie werden von klein auf eingeübt, wenn Eltern oder andere mit Erziehungsaufgaben betraute Personen Marionetten heranziehen wollen, die all das können sollen, was sie selbst nur unzulänglich „geschafft“ haben. Das Wort „geschafft“ besitzt Doppelsinn: Es lenkt die Aufmerksamkeit auf Leistung – aber auch auf Selbstverausgabung.

Perfekt sein zu wollen verfehlt Ganzheit – den zur Ganzheit gehören Fehler dazu. Effizienz braucht daher „Fehlermanagement“ und das bedeutet einerseits, sie von vornherein anzudenken und Notfallspläne mit zu konzipieren. Hetze hingegen ist heute für viele Berufe alltäglich geworden: Die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten verheißen immer größere Geschwindigkeit und verführen dazu, Realzeit aus dem Auge zu verlieren und damit das menschliche Maß. Die erforderlichen Zeitressourcen abzuschätzen bedingt auch Achtsamkeit auf die unterschiedliche individuelle Rhythmik und beinhaltet Wertschätzung von Diversität. Menschen zu hetzen – sich selbst inbegriffen – ist eine der Formen von Gewalt und bewirkt Gesundheitsschädigungen.

Überanpassung bedeutet, Widerspruch „um des Friedens willen“ zu unterdrücken. (Das geschieht oft sogar innerseelisch: Man hat ein „ungutes Gefühl“ und verleugnet es vor sich selbst statt nachzuforschen, welche Tatsache auslösend dafür war.) So werden Bedenken oder Befürchtungen nicht zur Kenntnis gebracht. Das wäre aber präventiv sinnvoll.

Die Kunst des Bogenschießens

Ich selbst halte mich für sehr effizient – sonst würde ich ja auch die viele unterschiedliche Arbeit inklusive Teamleitungen nicht bewältigen. Abgesehen von dem Vorbild meiner Mutter und den vielen unterschiedlichsten Berufserfahrungen (s. www.perner.info – Biographie) hat mir dabei die Zen-Praxis geholfen: Ich atme seitdem anders, gelassener, ich habe einen „langen Atem“ – auch wenn ich schnell denke, entscheide oder handle. (Dass man die operativen Kompetenzen seines Berufs beherrscht, sollte ohnedies selbstverständlich sein.) Und ich kann mich in ein Ziel einfühlen – so wie der Zen-Bogenschütze sich in den Zielpunkt hinein atmet und mit ihm verschmilzt – und möglicherweise dann auf den Schuss verzichtet.

Ich zentriere mich. Von den schulischen Appellen „Konzentriere dich!“ halte ich wenig – die verengen die Wahrnehmung und führen meist zu Muskelverspannungen. Ich halte viel von bewusstem Balancieren der eigenen Persönlichkeitsanteile, Gelassenheit und dem Mut zur Manöverkritik. Als Zukunftskompetenz – flexibel und schnell zu sein – sehe ich das nicht. Es ist eine Möglichkeit, die man bei sich wie bei anderen fördern kann – wenn man will.

Mein Symbol für Effizienz ist dennoch der Pfeil, der ins Schwarze trifft.

Zum Weiterlesen:

Rotraud A. Perner, Die Überwindung der Ich-Sucht. Sozialkompetenz und Salutogenese. Studienverlag, Innsbruck 2009.

Rotraud A. Perner, Königin! Über weibliche Kraft. Kösel, München 2009.

Rotraud A. Perner, Die reuelose Gesellschaft. Residenzverlag, St. Pölten 2013.