Sterbehilfe

Gastkommentare in
„Die Presse“

„Betrifft“ nennt sich die derzeitige Fernsehsendung des ORF, mit der an die vielfach nachbetrauerte Tradition von „Club 2“ und „Zur Sache“ angeschlossen werden soll. Letzten Sonntag war als Betreff Sterbehilfe ausgemacht und es stellt sich die Frage: Wie mag es wohl einem todgeweihten Menschen ergangen sein, der sich von dieser Diskussionsrunde Hilfestellung in seiner eigenen Betroffenheit erwartet hat? Oder Angehörigen, die von den sogenannten Opinion Leaders im Clubfauteuil richtungsweisende Aussagen erhofften, wie sie den Umgang mit Sterben und Tod, mit Schmerzen und Verzweiflung „trefflich“ leben könnten.

Betrachten wir Sterbehilfe einmal aus einem tabuisierten Blickwinkel – nämlich als Ware: als eine Dienstleistung, die helfen mag, unangenehmes Erleben zu einem beschleunigten Endpunkt zu bringen. Dann konnte die Zuseherschaft beobachten, wie sich die drei Mediziner um juristische Namensgebungen für Sterbeverkürzungen oder Sterbeunterstützungen mühten – nicht aber darum, was die Ursache sein könnte, dass“Betroffene“ – Todessehnsüchtige oder ihre „nächste“ Umgebung, Medizinpersonal inbegriffen – keine Perspektive auf ein tragbares, ertragbares Erleben suchen. Wozu auch: das Produkt ist da, legalisiert – zumindest in einem Land, das immer wieder die Vorreiterrolle wagt – und es wird propagiert – zumindest von denen, die dadurch einen Vorteil erwarten können. Solche Vorteile können nicht nur finanzielle sein, egal, ob durch konkrete Arbeitsplatzbeschaffung, sondern auch durch Lehrtätigkeit, Konsulententätigkeit oder auch „nur“ die narzisstische Profilierung als Experte.

H. G. Wells hat in einem seiner Bücher einen Alltagsfeigling beschrieben, der trotz niederer Motive in eine Heldenrolle rutscht, weil er während eines Bombardements nicht im Luftschutzkeller bleibt. Zu Ende des Buches sitzt er am Sterbebett seiner Gattin und erzählt ihr stolz von dem Orden, den er für seine vermeintliche Heldenleistung erhalten wird – und die Frau, um ihn nicht zu kränken, verzichtet auf ihre Bedürfnisse, sich zu verabschieden, und hört ihm tapfer zu.

Sterbehilfe besteht nicht darin, im Rahmen juristischer Definitionen mit Fragen zu jonglieren, wer was darf, verantwortet oder abbüßen soll. Das hilft nur den „Anbietern“ und entlastet autoritätsgläubige „Kunden“ von der Notwendigkeit, selbst nachzudenken und vor allem: nachzufühlen.

Sterbehilfe besteht meiner Ansicht nach immer nur darin, jemand zu helfen, sein Sterben zu leben. Das bedeutet nicht – oder nicht nur – sich der Antwort auf Fragen nach dem Wohin und Wozu zu stellen. Das bedeutet nicht – oder nicht nur – sich die Zeit zu nehmen, beim „Gleiten“ ins Hinüber zu „begleiten“. Es bedeutet schon gar nicht, Sterbende mit den eigenen Vorstellungen von Trost, Ablenkung oder Hoffnung zu „versorgen“. Es bedeutet, die innere Wahrheit der Gefühle mit der äußeren Wahrheit des Wissens in Balance zu bringen. Das ist schwer und oft erschütternd. Es ist ja schon schwer genug, sich selbst in die eine Waagschale einer Beziehung voll Liebe zu stellen – wie sehr aber erst, wenn es darum geht, die große, die letzte Bilanz zu ziehen!

Es hat sich in den letzten Jahren herumgesprochen, wie wichtig es ist, dassNeugeborene ihre ersten Atemzüge in den Armen, am Herzen, einer liebenden Mutterperson tun. Ich meine: genauso wichtig ist das bei den letzten Atemzügen. Jede Beziehung – wenn sich einer wirklich auf den anderen bezieht – verändert das Erleben. Auch das Schmerzerleben. Grob gesprochen: Liebe heilt, Ungeduld schädigt. Das wissen die einschlägig erfahrenen Psychotherapeuten aus Trancetherapien, bestätigt durch den jungen Wissenschaftszweig der Psychoneuroimmunologie. Und: dieses Wissen und Können ist erlernbar!

Ich meine: Wenn Fernsehen seinen Bildungsauftrag ernst nehmen will, dann gehört nicht – nur – Wissen über die neuesten Medizin- und Rechtsverbote und -angebote transportiert, sondern vor allem Wissen, wie wir alle uns in schwierigen Lebenssituationen hilfreich verhalten können.